In Deutschland erzählt man sich gern Geschichten von der legendären russischen Gastfreundschaft.
Als ich diese Geschichten meinen russischen Freunden erzählte, reagierten sie eher skeptisch und glaubten nicht, dass man als Reisender einfach in einem russischen Dorf an eine Haustür klopfen und sich selbst einladen konnte. Ich beschloss, die Probe aufs Exempel machen.
Das erste Mal hatte letzten Sommer am Baikalsee auf der Insel Olchon diese Gelegenheit, als die Jugendherberge ausgebucht war und sonst nur noch teure Pensionszimmer verfügbar waren. Ich freundete mit dem Mädel aus der Touristeninfo an, die dann auf meine Bitte und für eine Tafel Schokolade an die umliegenden Höfe klopfte und fragte, ob sie mich und meinen Bekannten für zwei Nächte bei sich aufnehmen würden. Schon am dritten Hof waren wir erfolgreich, aber das lag wohl daran, dass er gerade zu einer kleinen Herberge umgebaut wurde, denn echte Einheimische gab es wohl im Hauptdorf Churschir nicht mehr. Dennoch, die Preise für Übernachtungen lagen im unteren Bereich.
Den zweiten Versuch startete ich im Winter in einer weniger touristischen Gegend: Das Städtchen Kungur in der Perm-Region, bekannt für seine Eishöhle.
Mit dem Auto fuhren mein Begleiter und ich die 350 Kilometer über russische Landstraßen, die vom strengen Winter arg mitgenommen waren, sodass wir über 8 Stunden brauchten. Als wir ankamen, war es aber noch mindestens eine halbe Stunde hell.
Foto mit Baba Tasja |
Statt an Türen zu klingeln, wollten wir uns ein Großmütterchen auf der Straße suchen - der erste Gedanke war eine Kirche, aber dann kamen wir an einem Supermarkt vorbei, vor dem sich alte Leute aufhielten. Ich gab meinem Begleiter den Text vor, den er zu sagen hatte: Er sollte uns mit Namen vorstellen, sagen, dass wir Reisende aus Izhevsk waren und noch ein Plätzchen für die Nacht suchten, für das wir natürlich auch bezahlen würden. Die erste Großmutter wies und ab, die zweite schlug uns das Hotel des Städtchens vor, aber schon die dritte nahm uns mit in ihre Neubauwohnung.
Sie ließ sich Baba Tasja nennen und setzte sofort Tee für uns auf. Sie lud alles, was sie im Kühlschrank fand, auf den kleinen Küchentisch und ließ nicht locker bis wir von allem etwas gegessen hatten. Den Rest verfütterte sie an ihre Katze. Wir teilten natürlich auch unsere Vorräte mit ihr, und sie hatte nichts dagegen, dass wir beide einen abendlichen Spaziergang durch die Stadt unternahmen. Als wir wiederkamen, richtete sie uns das große, ausklappbare Schlafsofa als Bett her und wir sahen noch ein Stündchen zusammen fern, während sie das Geschehen der Spielshow laut kommentierte.
Am nächsten Morgen wollte sie uns gern noch bei sich behalten, aber es war Sonntag und wir mussten zurück nach Izhevsk, so gab sie uns ihre Adresse und Telefonnummer und nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns lange und mit vielen Dankesworten. Und mein Begleiter rief Baba Tasja tatsächlich dann und wann einmal wieder an.
Fazit: Ja, es funktioniert. Sogar noch im Jahr 2011, und nicht nur in sibirischen Dörfern.